Regressgefahren bei MS

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Tipps zur Regressvermeidung von Prof. Dr. Markus Weih

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, die bevorzugt jüngere Frauen und berufstätige Menschen betrifft. Die Genese ist multifaktoriell, mit genetischen Faktoren, einer geografischen Variabilität und Umweltfaktoren. Neben den bekannten typischen neurologischen Symptomen wie Paresen, Gangstörungen, Sensibilitätsstörungen und Schmerzen leiden die Patienten zusätzlich besonders oft an Fatigue und kognitiven Störungen1 mit den bekannten gesundheitsökonomischen Einschränkungen.

Entwicklung der Behandlungskosten bei MS

Die mit der Erkrankung verbundenen direkten und indirekten Gesundheitskosten sind von der Verlaufsform (am häufigsten ist die schubförmig-remittierende Form) und der Behinderung (gemessen in der EDSS) abhängig. Wichtig sind u. a. auch die Kosten für die Medikation.

In keinem anderen Bereich der Neurologie gibt es ähnlich viele Innovationen wie bei der MS-Behandlung. Während vor 20–30 Jahren die Behandlung noch einfach und überschaubar war, so gilt es heute den Überblick zu behalten, da dem Neurologen eine Auswahl von etwa 20 Medikamenten für die verschiedenen Verlaufsarten in verschiedenen Darreichungsformen zur Verfügung steht. Für die meisten neueren Substanzen liegt eine G-BA-Nutzenbewertung vor.

Als medizinischer, aber für das Gesundheitswesen mit einem Kostensprung verbundener Meilenstein in der MS-Behandlung ist dabei die Einführung von Interferon β-1b im Jahr 1993 zu bezeichnen. Interferon β-1b war das erste MS-Medikament aus der Zytokinreihe und gleichzeitig das erste rekombinante molekularbiologisch hergestellte Medikament.

Die Substanzklasse der Beta-Interferone wurde in den darauffolgenden Jahren erweitert, haben sich seither als Standardtherapie etabliert, sind aber kaum günstiger geworden. Während die Beta-Interferone in der Regel s.c. verabreicht werden, gibt es inzwischen auch eine Reihe oraler Medikamente als zyklische Verabreichung oder Dauertherapie sowie intravenöse Therapien.

Einen Überblick über die verschiedenen Medikamente, der Einfachheit halber grob sortiert nach der ATC-Klassifikation Immunsuppressiva und Immunstimulanzien und den ungefähren Jahrestherapiekosten, gibt Tabelle 1.

Tab. 1: MS-Medikamente, Stand: September 2021

ATC-Code

Wirkprinzip

Wirkstoff und Jahrestherapiekosten

L03

Immunstimulanzien

Beta-Interferone (1a,1b) €€€

Glatirameracetat €€

L04

Immunsuppressiva

Natalizumab €€€€

Fingolimod €€€

Teriflunomid €€

Dimethylfumarat €

Cladribin €€€€

Alemtuzumab €€€€€

Ocrelizumab €€€€

Siponimod €€€€

Ozanimod €€€€

Legende: € < 10.000 Euro, €€ 10.000 bis 15.000 Euro, €€€ 15.000 bis 20.000 Euro, €€€€ 20.000 bis 30.000 Euro, €€€€€ > 30.000 Euro (nach Leitlinien2)

Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnung

Bei diesem breiten Therapiespektrum, einer hohen Patientenzahl, der meist chronischen Verlaufsform und den hohen Preisen ist es nicht verwunderlich, dass die Kostenträger auf eine wirtschaftliche Verordnung achten. Im Detail hat dies zu einem Wust von verschiedenen Verordnungen in den Länder-KVen geführt.

Immer wieder ins Visier der Wirtschaftlichkeitsprüfer geraten dabei die Beta-Interferone als Standardmedikamente für die milde bis moderate Verlaufsform. Dies ist nicht verwunderlich, da die Medikamente „alt“, aber immer noch unverhältnismäßig teuer sind. Außerdem sind inzwischen auch Generika verfügbar. Eigentlich gilt das Gleiche auch für Glatirameracetat, aber hier halten sich die Kosten noch in Grenzen.

Zunehmend streng wird auch auf das Label geachtet. So sind manche Beta-Interferone nur zugelassen, wenn mindestens zwei Schübe in zwei Jahren dokumentiert sind.

Auf der sicheren Seite liegen Sie, wenn Sie das kostengünstigste Beta-Interferon wählen (dies ist meist Extavia). Obsolet sind inzwischen Immunglobuline, hier gab es empfindliche Regresse.

Zunehmend möchten die Kostenträger, dass Ärzte die Rabattverträge berücksichtigen, was einen schwer vermittelbaren Zusatzaufwand bei der Rezeptierung bedeutet. MS-Schwerpunktpraxen kennen diese Problematik gut und auch die meisten Hochschulambulanzen sind mit dem Thema Wirtschaftlichkeit gut vertraut. Als wirtschaftlicher Selbstmord muss inzwischen die Off-Label-Verordnung betrachtet werden.

1 Flachenecker P, Kobelt G, Berg J, Capsa D, Gannedahl M; European Multiple Sclerosis Platform. New insights into the burden and costs of multiple sclerosis in Europe: Results for Germany. Mult Scler 2017 Aug; 23(2_suppl): 78–90

2 dgn.org/wp-content/uploads/2021/04/030050_LL_Multiple_Sklerose_2021.pdf

Prof. Dr. Markus Weih ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist im Medic-Center Nürnberg – Schöll + Kollegen (MVZ) tätig und für Berufsverband und in Forschung und Lehre aktiv.