Kurze Geschichte der Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und der „WANZ-Kriterien“
Ein Beitrag von Prof. Dr. Markus Weih
Deutschland rühmt sich, das älteste Sozialversicherungssystem und die älteste gesetzliche Gesundheitsversicherung der Welt zu haben. Nach seiner Gründung 1883 unter Bismarck waren aber nur Arbeiter versichert. Diese machten lediglich 10 % der Bevölkerung aus.
Schon immer musste erst geprüft werden, ob der Patient versichert ist und ob ein Versicherungsfall eintreten muss – es musste also eine Diagnostik erfolgen. Es handelte sich nie um eine „Vollkaskoversicherung“, die alle subjektiven Wünsche des Versicherten sofort erfüllt. Im Gegenteil: Die Leistungen sind grundsätzlich rationiert, werden geprüft und erst dann freigegeben. Sie werden nicht allein auf Wunsch des Versicherten erbracht. Es ist aber gleichzeitig mehr als ein Minimalprinzip wie bei der Sozialhilfe, da eine ärztliche Diagnose und Therapie erfolgt und der Patient Anspruch auf Krankenhausbehandlung oder ambulante Facharztbehandlung hat. Hier ergibt sich eine weitere Besonderheit: Deutschland ist das einzige größere Industrieland, das ein ambulantes Facharztsystem hat.
Einführung der Reichsversicherungsordnung
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der GKV wurden zunächst in der Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelt. Diese blähte sich über die Jahrzehnte zu einem wahren Paragrafenmonster auf. Meist ging es dabei natürlich um die Finanzen.
Um Kosten zu sparen, versuchten die Krankenkassen bereits früh, die Apotheken durch Selbstabgabe von Heil- und Hilfsmitteln zu umgehen. Als Reaktion darauf boten die Apotheken den Kassen Rabatte an – der Beginn des heute noch gültigen Rabattvertragssystems.
Bis 1920 galt in der RVO das paritätische Solidarprinzip, in dem vereinfacht gesagt alles bezahlt wurde. Die Ärzte rechneten direkt mit der Krankenkasse ab. Die Kassen hatten also damals ein Monopol, gegen das die Ärzte protestierten. Die Regierung schritt in diesen Konflikt ein, indem sie Organe der gemeinsamen Selbstverwaltung von Krankenkassen und Kassenärzten einrichtete. So entstand der Reichsausschuss der Ärzte und Krankenkassen, der Vorläufer des heutigen Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Erste Instrumente der Kostensteuerung
Nach dem 1. Weltkrieg bzw. spätestens nach Hyperinflation, Wirtschaftsproblemen und Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik waren die Kassen leer. Die RVO musste überarbeitet werden. Ziel war es, Kostensteuerungsinstrumente einzuführen. In dieser Zeit gab es auch die ersten Vertragsärzte, Arzneimittelhöchstpreise, Kassenabschläge und den Vorläufer des heutigen Wirtschaftlichkeitsgebots in § 368e Abs. 1 der RVO (s. Abbildung). Angesichts der heute nicht selten übersteigerten Versorgungsansprüche unserer Patienten lohnt es sich durchaus, manchmal die alten Paragrafen zu lesen. Die Einführung der Rezeptgebühr bzw. Zuzahlung datiert auf das Jahr 1930, damals waren 50 Pfennig üblich.
Im Jahr 1931 wurde dann durch eine Verordnung des Reichspräsidenten der Abschluss von Gesamtverträgen zwischen Kassen und Kassenärztlichen Vereinigungen eingeführt. 1932 kam die Verordnung über die kassenärztliche Versorgung, in der die RVO angepasst wurde. Damit waren die Kassenärztlichen Vereinigungen als Gegengewicht zu den Krankenkassen gegründet.
SGB V löst Reichsversicherungsordnung ab
Erst 1992 wurde die RVO durch das SGB V abgelöst, in dem heute der Leistungsumfang definiert ist. Die juristische Beschreibung des Wirtschaftlichkeitsgebots in § 12 entspricht aber immer noch der RVO und wird gern mit dem Akronym „WANZ“ (wirtschaftlich, ausreichend, notwendig und zweckmäßig) bezeichnet.
Was „notwendig“ ist, wurde beispielsweise bereits 1898 durch das Preußische Oberverwaltungsgericht geklärt. Notwendig sind Leistungen nur dann, wenn überhaupt eine Krankheit vorliegt, die eine Behandlung notwendig macht. Die Gesundheitsstörung sollte also nicht trivial, sondern hinreichend schwer, nicht rasch vorübergehend, evtl. sogar bedrohlich sein.
Prof. Dr. Markus Weih ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist im Medic-Center Nürnberg – Schöll + Kollegen (MVZ) tätig und für Berufsverband und in Forschung und Lehre aktiv.