Nicht immer einfach: Diagnostik, Therapie und Abrechnung bei Migränepatientinnen und -patienten

      Abrechnung     Meine Praxis; Wirtschaft­liche Ver­ord­nung

Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann

Die Migräne ist eine in Episoden anfalls­artig auftretende Form des chronischen Kopf­schmerzes. Die Ursachen können viel­schichtig sein, ebenso wie die daraus resultie­renden Behandlungs­optionen. Eine effektive Therapie kann die Lebens­qualität der Betroffenen aber enorm verbessern.

Die Häufigkeit der Erkrankung liegt im Erwachsenenalter bei 2–10 %. Eine höhere Prävalenz scheint in Industrieländern und bei sozialschwachen Personen vorzuliegen. Frauen sind etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. Der Schwerpunkt liegt im unteren bis mittleren Lebensalter. Der Konsum von Nikotin, die Einnahme von Ovulationshemmern sowie Lebensstilfaktoren scheinen bei der Krankheitsentstehung eine Rolle zu spielen.

Diagnostik

Am Beginn der Diagnostik sollte eine sorgfältige Anamnese­erhebung stehen. Typischer­weise tritt der durch Migräne bedingte Kopf­schmerz in Form von Attacken auf, deren Dauer zwischen 4 Stunden und 3 Tagen schwankt. Die Migräne wird klinisch in eine einfache, eine klassische und eine komplizierte Form eingeteilt.

  • Die einfache oder gewöhnliche Migräne zeichnet sich durch vegetative Begleit­symptome wie Übelkeit, Erbrechen, audio­visuelle Miss­empfindungen (Photophobie, Phono­phobie), Palpita­tionen und Diarrhöen aus.
  • Bei der klassischen Migräne (Migräne mit Aura) werden die Kopf­schmerzen zusätz­lich von meist kurz andauernden und nach Anfalls­ende abklin­genden neurolo­gischen Defiziten begleitet, wie Gesichts­feld­ausfällen in Form von sog. Flimmerskotomen, auf welche oft Licht­blitze folgen. Dem folgt ein Halb­seiten­kopf­schmerz mit Rötung der Gesichts­haut auf der betroffenen Seite.
  • Bei der komplizierten Migräne (Migraine accompagnée) dauern die neurolo­gischen Störungen länger als bei der klassischen Migräne und können den einzelnen Anfall auch über­dauern.

Differentialdiagnostisch muss man an einen Spannungs­kopf­schmerz und einen medikamenten­induzierten Dauer­kopf­schmerz durch zu häufige Einnahme von Schmerz­mitteln, Mutterkorn­alkaloiden oder Triptanen denken. Auch die Ein­nahme von Tranquilizern (Benzodia­zepinen), Nitro­präparaten und Anti­biotika (z. B. Amino­glykoside) können zu Kopf­schmerzen führen.

Therapie

Die Entstehung von Migräne­anfällen wird häufig durch Stress­situationen, ungeregelte Schlaf­gewohn­heiten, Hypo­glykämie, ausgelassene Mahl­zeiten, bestimmte Nahrungs­mittel und Lebens­mittel­zusätze, Bewegungs­mangel, Alkohol­konsum und (Passiv-)Rauchen gefördert. Bei der Migräne­behandlung kommen deshalb mehrere Ansätze zum Tragen. Der Patientin bzw. dem Patienten sollte die Alltags­problematik erläutert werden. Ein selbst geführtes Anfalls­tagebuch kann Hinweise auf ein gehäuftes Auftreten von Anfällen unter bestimmten Bedingungen geben.

Als medikamentöse Therapie empfiehlt die Deutsche Migräne- und Kopf­schmerz­gesellschaft in ihrer Leit­linie eine schritt­weise und bedarfs­gerechte Medika­tion: Ein Anti­emetikum (z. B. Meto­clopramid, 10–20 mg p. o., 10 mg i.v.) bei Übel­keit und Erbrechen, Anal­getika bei Attacken mit leichteren Schmerzen (z. B. Ibuprofen, Paracetamol, ASS oder auch Metamizol), Triptane (z. B. Sumatriptan, 50–100 mg p. o.) oder Ergotamin­derivate (z. B. Ergotamin­tartrat). Im Migräne­status (Migräne­attacken, die mehr als 72 Stunden dauern) kann Cortison 250 mg i.v. oder 60–100 mg p. o. an 2 Tagen eingesetzt werden.

Zur Anfallsprophylaxe kommen Betablocker (Metoprolol, 50–200 mg/Tag, Propranolol, 40–240 mg/Tag), Bisoprolol (5–10 mg/Tag), Flunarizin (5–10 mg abends eingenommen) und einige Antiepileptika wie Valproinsäure (500–600 mg/Tag), Topiramat (50–100 mg/Tag), Pizotifen und Methysergid in Betracht.

Psychotherapeutische Verfahren, bei denen die Patientin bzw. der Patient durch Verhaltens­therapie (autogenes Training, Bio­feed­back) erlernt, sich bei anbahnenden Schmerzen selbst zu helfen, können den Umgang mit der Migräne erleichtern. Ebenso wirksam ist das Ausüben aerober Ausdauer­sportarten, wie Nordic-Walking, Schwimmen oder Inline-Skating.

Der Fall in der hausärztlichen Praxis

Eine 32 Jahre alte Angestellte in einem Reise­büro kommt wegen in letzter Zeit häufig wieder­kehrender Kopf­schmerzen seit etwa einem Jahr in die Praxis. Der Kopf­schmerz trete etwa zweimal im Monat auf und halte meist ein bis zwei Tage an. Die Schmerz­punkte lägen bilateral im Stirn­bereich und wären manchmal auch von Nacken­schmerzen begleitet. Zuletzt sei auch Übel­keit und Erbrechen aufgetreten, weshalb sie sich jetzt Sorgen mache.

Auf Nachfrage gibt die Patientin an, dass ihr Beruf grund­sätzlich sehr stressig sei, besonders in der Reisezeit. Durch die Einnahme von Ibuprofen habe sie bisher die Attacken einiger­maßen in den Griff bekommen, jetzt würde das Medi­kament aber kaum noch Erleich­terung verschaffen. Bei der körper­lichen Unter­suchung fällt nur eine leichte Ver­spannung der Hals­muskulatur und am Oberrand des Musculus trapezius auf. Zur weiteren Abklärung wird der Patientin zunächst ein Termin in einer neurolo­gischen Praxis vermittelt.

Abrechnung Erstkontakt

EBM

Legende

Punkte/Euro

GOÄ

03003

Versichertenpauschale (VS) im 19.–54. Lebensjahr

114/13,60

1 + 7 + 800 + 801

35100

Differentialdiagnostische Klärung psycho­somatischer Krankheits­zustände

193/23,03

849

03008

Zuschlag zu der VS nach der GOP 03000 für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungs­termins

131/15,63

 

Die neurologische Untersuchung ergibt keinen Anhalts­punkt für einen organischen Prozess im cere­bralen Bereich. Auch der psychia­trische und psycho­somatische Befund ist unauffällig, sodass von einer einfachen Migräne ausge­gangen werden kann. Die Patientin erhält eine Verord­nung für Sumatriptan mit dem Hinweis, dass zunächst eine Dosis von 50 mg sofort bei ersten Anzeichen für eine Attacke eingenommen werden sollten. Ihr wird außerdem empfohlen, als Ausgleich für die berufliche Belastung eine Form des Ausdauer­sports mindestens einmal wöchent­lich und für etwa eine Stunde zu betreiben.

Abrechnung Zweitkontakt

EBM

Legende

Punkte/Euro

GOÄ

03230

Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist

128/15,28

3

Bitte beachten

  • Die differential­diagnostisch wichtige psycho­somatische Anamnese­erhebung nach der GOP 35100 kann im Laufe des Behand­lungs­falls mehr­fach berech­net werden, wobei zunächst nach ICD-10 keine F-Diagnose angegeben werden muss.
  • Ist zur therapeutischen Bera­tung ein längeres Gespräch erforderlich, kann die GOP 03230 je vollendete 10 Minuten auch mehrfach berechnet werden.
  • Bei der Migräne handelt es sich um eine chronische Erkran­kung. War die Patientin zurück­liegend bereits in einer kontinu­ierlichen haus­ärzt­lichen Betreuung, ist der Ansatz der GOP 03220 mit dem Suffix „H“ möglich.
  • Die im hausärztlichen Bereich auch mögliche neurolo­gische und psychia­trische Unter­suchung kann nach GOÄ mit den Nrn. 800 und 801 berechnet werden.
  • Beim Einsatz von Fragebogen zur Erhebung der Schmerz­intensität ist nach GOÄ die Nr. 857 berechnungs­fähig.

Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.