Diagnostik und Therapie der Fibromyalgie: Hier treffen sich somatische und psychosomatische Medizin!

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Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann

Das Fibromyalgiesyndrom ist eine häufig auftretende chronische Erkrankung. Sie verursacht Schmerzen in unterschiedlichen Körperregionen, meist in der Nähe von Gelenken und in den Muskeln. Fast immer ist auch die Wirbelsäule betroffen.

Die Erkrankung hinterlässt keine Schäden an Muskeln, Gelenken oder Organen, wie dies z. B. bei einer chronischen Polyarthritis oder Polymyositis der Fall ist. Betroffene sind in der Regel aber durch die Schmerzen sehr belastet, weil in Betracht kommende Behandlungen oft nicht helfen. Die genauen Ursachen der Erkrankung sind jedenfalls bis heute unklar. Man weiß lediglich, dass psychische Störungen eine Rolle spielen können, wie z. B. Stress im Arbeitsleben und im Alltag, Misshandlungen im Kindes- oder Erwachsenenalter oder Lebensstilfaktoren, wie z. B. zu geringe körperliche Aktivität, Rauchen oder Übergewicht. Ein Fibromyalgiesyndrom kann allerdings auch die Folge anderer Erkrankungen sein, wie etwa der rheumatoiden Arthritis. Aktuell gibt es Überlegungen, ob und ggf. inwieweit biochemische oder neurologische Störungen bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle spielen könnten.

Diagnostik

Die Betroffenen haben meist viele Arzttermine hinter sich. Sie fühlen sich nicht ernst genommen, weil die Ursachen ihrer Beschwerden nicht nachweisbar sind. Als erster Schritt ist deshalb eine gründliche Anamneseerhebung wichtig. Charakteristisch ist, dass die Krankheit nie die Gelenke selbst betrifft, sondern Schmerzen in der Umgebung, z. B. um Schultern, Ellenbogen, Hände, Hüften, Knie oder Sprunggelenke, imponieren. Häufig wird über Schlafstörungen berichtet und Betroffene fühlen sich körperlich und geistig erschöpft, reagieren überempfindlich auf Reize oder berichten von psychischen Symptomen wie innerer Unruhe, Angstgefühlen oder Niedergeschlagenheit bis hin zu einer Depression. Weitere denkbare Symptome sind Kopfschmerzen, Magen- und Darmbeschwerden, Parästhesien an Händen und Füßen, Herzrasen, Luftnot oder auch Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Als Hinweis auf die Erkrankung finden sich bei der körperlichen Untersuchung meist schmerzhafte Druckstellen an den Ansätzen von Sehnen. Typische Laborwerte sind beim Fibromyalgiesyndrom in der Regel nicht nachweisbar. Differentialdiagnostisch sollten aber andere Erkrankungen wie systemische entzündliche Erkrankungen (z. B. rheumatoide Arthritis, Polymyalgia rheumatica, Polymyositis, Dermatomyositis), bestimmte Infektionen (z. B. Borreliose, Hepatitis C, Coxsackie-Virus B, Parvovirus), hormonelle Störungen (z. B. Hypothyreose, Hyperparathyreoidismus), eine periphere Neuropathie oder ein myofasziales Schmerzsyndrom ausgeschlossen werden.

Therapie

Die Fibromyalgie ist durch medizinische Maßnahmen nur begrenzt beeinflussbar und beschränkt sich zumeist auf eine symptomatische Behandlung. Ein Behandlungskonzept ist heute die multimodale Schmerztherapie entsprechend den Erkenntnissen der modernen Schmerzforschung. Ziel der Maßnahmen sind hierbei die Erhaltung oder Verbesserung der Funktionsfähigkeit im Alltag und damit der Lebensqualität sowie die Linderung der Beschwerden.

Medikamentös hat sich die Behandlung mit dem trizyklischen Antidepressivum Amitriptylin, das zeitlich befristet zur Therapie chronischer Schmerzen im Rahmen eines Gesamttherapiekonzeptes eingesetzt werden kann, bewährt. Auch Antiepileptika wie Pregabalin und Gabapentin oder das auch gegen den neuropathischen Schmerz wirksame Antidepressivum Duloxetin können helfen. Aus der Gruppe der Antidepressiva werden auch noch häufig Fluoxetin oder Paroxetin eingesetzt. Weitere einzelne, aber noch nicht vollkommen gesicherte Wirkungsnachweise gibt es aus der Gruppe der Antidepressiva für Sertralin, Moclobemid, Venlafaxin, Mirtazapin und Milnacipran, das in den USA sogar eine Zulassung für die Indikation Fibromyalgie erhalten hat. Für den Einsatz nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR) liegen keine Hinweise auf eine Wirksamkeit bei Fibromyalgie vor. Muskelrelaxanzien werden nicht empfohlen. Der Einsatz starker Opioide ist ebenfalls nicht zielführend. Das schwache Opioid Tramadol hingegen wird in zwei aktuellen Leitlinien zur Schmerzreduktion empfohlen. Hier kann auch ein moderates Ausdauertraining, wie z. B. Walking, Radfahren, Schwimmen oder Aquajogging, oder ein Funktionstraining mit Übungen in Trocken- und Wassergymnastik hilfreich sein. Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelentspannung oder autogenes Training werden ebenfalls empfohlen. Psychologische Maßnahmen wie Verhaltenstherapie kommen für bestimmte klinische Konstellationen, etwa bei komorbiden psychischen Störungen, in Betracht.

Der Fall

Die 54-jährige Patientin mit türkischem Migrationshintergrund stellt sich erstmals in der Praxis vor. Bei der somatischen und psychosomatischen Anamneseerhebung berichtet die Patientin über Schmerzen am ganzen Körper, einen gestörten, nicht erholsamen Schlaf und Müdigkeit den ganzen Tag über. Die Beschwerden würden bereits seit etwa einem Jahr bestehen und zunehmen. Die Patientin ist verheiratet, gibt aber an, dass sie sehr häufig allein und mit wenig Kontakt zur Umwelt auskommen müsse, da ihre zwei Kinder nicht mehr zuhause leben würden und der Ehemann als Bauarbeiter häufig auf Auslandseinsätzen tätig sei. Bei der körperlichen Untersuchung fällt eine Druckschmerzhaftigkeit der Muskulatur und an Muskel-Sehnen-Ansatzpunkten auf.

Die umfassende körperliche Untersuchung wird durch die fälligen Präventionsleistungen Gesundheitsuntersuchung, Hautkrebsscreening, Hepatitisscreening, iFOBT und die Beratung zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms ergänzt. Zum Ausschluss einer neurologischen oder entzündlich-rheumatologischen Ursache der Beschwerden wird der Patientin wegen der Dringlichkeit der diagnostischen Abklärung jeweils ein Facharzttermin innerhalb von 35 Tagen vermittelt.

Erstkontakt

EBM

Leistungsbeschreibung

Punkte/Euro

03003

Versichertenpauschale ab Beginn des 19. bis zum vollendeten 54. Lebensjahr

114/13,60

35100

Differential­diagnostische Klärung psycho­somatischer Krank­heits­zustände

193/23,03

03008
x 2

Zuschlag zu der GOP 03000 für die Ver­mittlung eines aus medizi­nischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungs­termins bei einem Neuro­logen und einem Rheuma­tologen262/31,26

01740

Beratung zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms116/13,84

Zweitkontakt

EBM

Leistungsbeschreibung

Punkte/Euro

01732Gesundheits­untersuchung bei Erwachsenen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr326/38,90
01746Zuschlag zur Gebühren­ordnungs­position 01732 für die Früh­erkennungs­untersuchung auf Hautkrebs209/24,94
01734Zuschlag zur Gebühren­ordnungs­position 01732 für das Screening auf Hepatitis-B- und/oder auf Hepatitis-C-Virus­infektion41/4,89
01737Ausgabe und Weiter­leitung eines Stuhl­proben­entnahme­systems gemäß Teil II. § 6 der Richtlinie für organisierte Krebs­früherkennungs­programme57/6,80
03230Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist128/15,28

Bitte beachten

  • Die Berechnung der GOP 01732, 01734 und 01737 ist erst möglich, wenn das entsprechende Laborergebnis vorliegt.
  • Die Durchführung des iFOBT ist auch in Verbindung mit dem Check-up möglich und hier indiziert, da Frauen nach der Beratung zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms erst ab dem 55. Lebensjahr Anspruch auf eine präventive Koloskopie haben.
  • Es handelt sich hierbei um eine chronische Erkrankung. Der Ansatz der „Chronikerziffern“ nach den GOP 03220/03221 ist aber erst nach mindestens 3 aufeinanderfolgenden Quartalen möglich.

Da alle Laboruntersuchungen unauffällig sind und die psycho­soma­tische Anamneseerhebung nicht unmittelbar auf eine somatoforme Kompo­nente hinweist, kann – vorbehalt­lich der ausstehenden weiter­führenden fach­ärzt­lichen Unter­suchungen – zunächst von einem Fibro­myalgie­syndrom ausgegangen werden. Der Patientin wird empfohlen, mehrmals pro Woche für mindestens 30 Minuten ein leichtes Ausdauer­training durch­zuführen, ohne sich dabei zu stark zu belasten. Wegen der Schlaf­störung und der mög­lichen positiven Auswirkung auf das Beschwerde­bild erhält sie außerdem probatorisch eine Verord­nung über 25 mg Amitriptylin zur abend­lichen Einnahme. Der Patientin wird vermittelt, dass es sich um eine zwar schwer behandelbare, aber völlig ungefähr­liche Erkran­kung handelt und sie Geduld haben muss, da ein zufrieden­stellender therapeu­tischer Erfolg erst nach längerer Behandlungs­dauer zu erwarten ist.

Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.