Diagnostik und Therapie beim Reizdarmsyndrom in der hausärztlichen Praxis: Dieser Herausforderung sollte man sich stellen!
Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann
Wenn Patientinnen und Patienten über seit Monaten immer wieder auftretende Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall und/oder Verstopfung klagen, sollte man an das Vorliegen eines Reizdarmsyndroms (RDS) denken. Mitunter haben die Patientinnen und Patienten nur milde Symptome, das Beschwerdespektrum reicht aber bis hin zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Betroffen sind in Deutschland etwa 1 bis 2 von 100 Menschen, bevorzugt im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, Frauen ungefähr doppelt so oft wie Männer. Die Erkrankung kann familiär gehäuft auftreten, ohne dass ein genetischer Zusammenhang erkennbar ist.
Man unterscheidet nach den Rom-III-Kriterien 4 RDS-Subtypen: RDS-O: Obstipationstyp, RDS-D: Diarrhötyp, RDS-M: Mischtyp und RDS-U: unklassifizierter Typ.
Eine besondere Rolle bei der RDS-Pathogenese wird dem Darmmikrobiom bzw. der Ernährung und deren Beeinflussung des Darmmikrobioms zugeschrieben. Verglichen mit gesunden Kontrollen weisen RDS-Patientinnen und -Patienten sowohl qualitative als auch quantitative Unterschiede in der Zusammensetzung der Darmmikrobiota auf. Vorangegangene Antibiotika-Therapien können deshalb ein RDS auslösen. Psychosoziale Stressoren, psychische Symptome wie Ängstlichkeit, Depression, posttraumatische Stresssymptome sowie Faktoren der Krankheitsbewältigung sind oft mit dem Auftreten eines RDS assoziiert.
Diagnostik
Eine somatische und psychosoziale Anamneseerhebung ist eine wichtige Voraussetzung zur Diagnosefindung. Hilfreich kann dabei der Einsatz von Fragebögen wie z. B. die „Gastrointestinal Symptom Rating Scale for Irritable Bowel Syndrome“ (GSRS-IBS) sein. Bei der körperlichen Untersuchung sollte die rektal-digitale Palpation nicht fehlen und durch eine abdominelle Sonographie, bei Frauen eine gynäkologische Untersuchung, und ein Basislabor mit der Bestimmung des Blutbildes, des CRP-Wertes, der Leberwerte, des Kreatinins und ggf. einer Stuhluntersuchung auf Calprotectin/Elastase-1 und auf pathogene Erreger (bei V. a. RDS-D oder RDS-M) ergänzt werden. Um eine entzündliche oder maligne Ursache auszuschließen, ist die Vorstellung bei einer Gastroenterlogin oder einem Gastroenterologen ratsam. Spezifische Unverträglichkeiten z. B. von Milchprodukten oder Lebensmitteln, die fruchtzucker- oder histaminhaltig sind, eine Zöliakie und eine Weizenallergie sollten ausgeschlossen werden. Bei Verdacht auf eine Laktose-, Fruktose- oder Sorbitol- Malabsorption ist ein H2-Atemtest sinnvoll. Bei Allergiesymptomen wie z. B. Hautausschlägen, Schwellungen der Mundschleimhaut, respiratorischen oder Kreislaufbeschwerden sollte man an eine IgE- oder nicht-IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie denken und eine interdisziplinäre Abklärung sowie allergologische Mitbetreuung veranlassen.
Therapie
Bei RDS-Patientinnen und -Patienten sind unspezifische Unverträglichkeiten gegen bestimmte Nahrungsmittel häufig. Werden sie gezielt vermieden, kann dies zu einer erheblichen Besserung oder sogar zum Wegfall der Symptomatik führen. Dies können Alkohol, Fett, Getreideprodukte, Kohlenhydrate, Hülsenfrüchte, Salicylate oder Zwiebeln sein.
Nach der aktualisierten S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) ist es wichtig, der Patientin bzw. dem Patienten zu vermitteln, dass die Beschwerden nicht eingebildet, sondern real sind, aber keine Auswirkung auf die Lebenserwartung oder auf das Risiko für andere somatische Erkrankungen haben.
Neben der Ernährungsberatung (z. B. FODMAP-Diät) können unterstützend ausgewählte Probiotika und Phytotherapeutika wie z. B. Pfefferminzöl sowie trizyklische Antidepressiva oder selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zum Einsatz kommen.
Der Fall
Der 43-jährige Patient kommt nach einem Hausarztwechsel erstmals in die Praxis. Er berichtet, dass er seit schon sehr langer Zeit immer wieder, angeblich nahrungsmittelunabhängig, abdominale Krämpfe, Blähungen und unregelmäßigen Stuhlgang habe. Ähnliche Symptome würden bei der Mutter und dem jüngeren Bruder auftreten. Eine besondere berufliche oder familiäre Stresssituation wird verneint.
Bei der körperlichen Untersuchung fallen ein geblähtes Abdomen und ein leichter Druckschmerz bei der Palpation auf. Sonographisch finden sich im Abdomen keine Auffälligkeiten. Eine Laboruntersuchung wird veranlasst. Zur weiteren differentialdiagnostischen Abklärung wird dem Patienten ein Termin bei einer Gastroenterologin bzw. einem Gastroenterologen vermittelt.
Erstkontakt
EBM | Legende | Punkte/Euro |
03003 | Versichertenpauschale im 43. Lebensjahr | 114/13,60 |
03220H | Zuschlag zu der Versichertenpauschale für die Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 130/15,51 |
35100 | Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände | 193/23,03 |
33042 | Sonographische Untersuchung des Abdomens oder dessen Organe und/oder des Retroperitoneums oder dessen Organe einschl. der Nieren mittels B-Mode-Verfahren | 143/17,07 |
03008 | Zuschlag zu der Versichertenpauschale für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V | 131/15,63 |
Da der Patient zuvor bereits regelmäßig in hausärztlicher Betreuung war und es sich um eine lebensverändernde chronische Erkrankung handelt, kann die GOP 03220 mit dem Suffix „H“ berechnet werden. Die Anamneseerhebung deutet auf die Notwendigkeit einer dringlichen gastroenterologischen differentialdiagnostischen Abklärung hin, sodass die Berechnung der GOP 03008 möglich ist. Wenn der Termin innerhalb von 35 Tagen, aber ab dem 24. Tag vereinbart wird, muss im freien PVS-Feld eine Begründung in diesem Sinne angegeben werden.
Da die im Gemeinschaftslabor veranlassten Laborwerte alle im Normbereich liegen und auch die fachärztliche Abklärung keine Anhaltspunkte für eine andersartige Ursache der Beschwerden des Patienten liefert, kann die Diagnose eines Reizdarmsyndroms als gesichert angesehen werden.
Dem Patienten wird die Bedeutung der Erkrankung erläutert und eine begleitende psychosomatische Gesprächstherapie angeboten. Er erhält eine Empfehlung an die Krankenkasse für eine Diätberatung nach Muster 36 und eine Privatverordnung für ein Pfefferminzöl-Präparat.
Weiterer Kontakt
EBM | Legende | Punkte/Euro |
03221 | Zuschlag zu der GOP 03220 für die intensive Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 40/4,77 |
35110 | Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen | 193/23,03 |
Die Empfehlung zur Diätberatung kann nicht gesondert berechnet werden. Bei der Privatverordnung sollte die Rezeptur aber auf einem sog. grünen Rezept erfolgen und dem Patienten mitgeteilt werden, dass seine Kasse die Kosten für diese Behandlung erstatten kann.
Die familiäre Häufung der Symptomatik ist zumindest verdächtig auf eine Verhaltensstörung als (Mit-)Ursache der Erkrankung. Wichtig ist deshalb die weitere fürsorgliche Betreuung des Patienten. Sofern sich im Rahmen der psychosomatischen Gesprächsbehandlung herausstellt, dass die psychische Komponente eine nur untergeordnete Rolle bei dem Krankheitsbild einnimmt, kann die weiterhin notwendige Gesprächstherapie nach der GOP 03230 fortgesetzt werden. Die Angabe einer sog. F-Diagnose ist in diesem Fall nicht erforderlich.
Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.