Was tun, wenn der Patient seine Behandlungsunterlagen haben will? Die Rechtslage ist unklar!
Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann
Das gehört (auch) zum Praxisalltag: Ein Patient möchte seine Krankenunterlagen, die in der Praxis gespeichert sind, zur Verfügung gestellt bekommen. Die Gründe können unterschiedlich sein – ein Wohnort- und damit ein Arztwechsel oder einfach nur ein gestörtes Arzt-Patienten-Verhältnis. Was auch immer der Anlass sein mag, die Frage, ob er für das Anfertigen von Kopien etwas bezahlen muss, lässt sich bisher nicht eindeutig beantworten.
§ 630g Abs. 1 BGB sieht vor, dass jeder Patient die Möglichkeit hat, sowohl mündlich als auch schriftlich sofortige Einsicht in die eigene Patientenakte nehmen zu können, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen (z. B. bei psychiatrischen Erkrankungen). Eine weitere Verpflichtung leitet sich aus dem ärztlichen Berufsrecht ab. § 10 Abs. 2 der Musterberufsordnung (MBO) verpflichtet den Arzt, seinen Patienten Einsicht in die objektiven Teile der Krankenunterlagen zu gewähren. Der Arzt steht somit in der Pflicht, seine Patienten schnellstmöglich die komplette Originalakte einsehen zu lassen, Kopien anzufertigen oder eine Auskunft über einzelne Abschnitte der Akte zu gewähren, je nachdem, was der Patient verlangt. Der Patient hat jedoch kein Recht auf die Aushändigung des Originals. Eine Ausnahme bilden Röntgenbilder (§ 28 Abs. 8 Röntgenverordnung), die zur Weiterbehandlung notwendig sind.
Für die Anfertigung von Kopien kann nach deutschem Recht eine Kostenerstattung verlangt werden, die der Patient vorab und ohne Übernahme der Krankenkasse tragen muss. Ein Recht auf das Zusenden von Kopien besteht dabei nicht. Auch kann das Zusenden von Kopien nicht die Einsicht in die Originalakte vollständig ersetzen. Sofern der Patient dies wünscht, muss eine Einsicht möglich gemacht werden.
Wechselt ein Patient den Arzt, so ist es ihm freigestellt, was er dem neuen Arzt über die bisherigen Krankheitsverläufe und Behandlungsvorgänge mitteilen möchte. Er hat die Möglichkeit, dem vorherigen Arzt die Erlaubnis zu erteilen, dem neuen Arzt die aktuelle Patientenakte zu leihen, damit er sich einen Überblick über seinen neuen Patienten machen kann. Außerdem kann der Patient Kopien der Akte verlangen und diese dem neuen Arzt aushändigen. Der neue Arzt hat hingegen selbst kein Recht darauf, die Patientenakte ohne eine schriftliche Einverständniserklärung und somit Entbindung von der Schweigepflicht einzusehen. Auch das Praxispersonal ist ohne diese Erklärung nicht befugt, anderen Ärzten eine Auskunft zu geben. Erlaubt der Patient, dass die komplette Originalakte an einen neuen Arzt gegeben wird, so darf dies nur geschehen, wenn die Behandlung bereits seit 10 Jahren abgeschlossen ist, denn der ursprünglich behandelnde Arzt muss die Aufbewahrungsfrist einhalten und darf in dieser Zeit keine Originalakte abgeben, zumal diese Akte als Eigentum des Arztes gilt.
Was aber ist mit den entstehenden Kosten?
Zur Möglichkeit einer Kostenerstattung von erbetenen Kopien und zu den dafür in der Regel anzusetzenden Kosten gibt es unterschiedliche Stellungnahmen. Keineswegs können sich Ärzte an den sonst bei Ämtern oder Behörden üblichen Sätzen orientieren. In Analogie zum Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) sind aber für bis zu 50 Seiten 0,50 Euro je Seite von dem Patienten zu erstatten, für weitere Seiten 0,15 Euro je Seite. Wenn der Patient eine CD erhält, um diese einem weiteren behandelnden Arzt vorübergehend zu überlassen, kann keine Rechnung gestellt werden. Der mitbehandelnde Arzt muss allerdings die CD zurückschicken. Anders ist es, wenn der Patient die CD für die eigene Dokumentation erbittet. Auch hier ist in Analogie zum JVEG ein Betrag von 1,50 Euro je Datei (auf der CD) in Rechnung zu stellen. Werden mehrere Dateien, so z. B. mehrere sonographische oder Röntgenuntersuchungen, auf eine CD übertragen, beträgt der zulässige Höchstsatz 5,00 Euro. Bei Privatpatienten kann für das Überlassen einer CD auf Wunsch eine Abrechnungsempfehlung der Bundesärztekammer (BÄK) herangezogen werden (Deutsches Ärzteblatt, 109, Heft 19 vom 11.05.2012, Seite A-987). Demnach werden auch hier 5,00 Euro als angemessen angesehen.
Verkompliziert wird die Sache durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Dieses Datenschutzgesetz gewährt Patienten einen klagbaren Rechtsanspruch auf Einsicht in sämtliche sie betreffende Krankenakten, ohne dass dies vor der Behandlung gesondert vereinbart werden muss (Art. 15 DSGVO). Dieser Anspruch gilt nicht nur während, sondern auch nach Abschluss der Behandlung. Umstritten ist dabei die Frage, ob der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO auch die Bereitstellung einer vollständigen Kopie der Behandlungsdokumentation umfasst und wer die damit verbundenen Kosten tragen muss.
Jetzt soll deshalb der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg klären, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang Ärzte eine kostenfreie Kopie der Patientenakte an ihre Patienten herausgeben müssen. Ein Beschluss des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe (BGH) hat diesbezüglich den obersten EU-Richtern mehrere Fragen zur Beantwortung vorgelegt (Az.: VI ZR 1352/20). Das Ergebnis bleibt abzuwarten.
Fazit:
Was macht man, bis es zu dieser höchstrichterlichen Entscheidung kommt? Solange diese Hängepartie anhält, ist man rein juristisch sicherlich nicht auf der falschen Seite, wenn man sich am deutschen Recht orientiert und die Kosten auf der Grundlage des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes in Rechnung stellt. Das Problem bleibt aber auch hier: Wenn der Patient das nicht zahlt, kann man nicht einfach die Herausgabe verweigern, und ob es sich „lohnt“, die entstandenen Kosten gerichtlich geltend zu machen, sollte rational entschieden werden – auch wenn es bei manchen Patienten durchaus ärgerlich sein kann.
Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.