Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars: So könnte es funktionieren!
Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann
Das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG), das auch die Elemente zur Entbudgetierung des hausärztlichen Honorars beinhaltet, liegt bislang nur als Referentenentwurf vor. Bereits jetzt ist aber absehbar, dass diese „EBM-Reform“ eine grundlegende Änderung der Praxisführung nach sich ziehen muss.
Hintergrund
Der Gesetzesentwurf gliedert den neuen „Hausarzt-EBM“ in drei Teile:
- Eine Versorgungspauschale, die an die Stelle der bisherigen altersgestaffelten Versichertenpauschale nach der Gebührenordnungsposition (GOP) 03000, der Chronikerpauschalen nach den GOP 03220/03221 und weiterer, nicht näher benannter kleinerer Zuschläge und Pauschalen treten soll. Gedacht ist diese Leistung allerdings nur für die Behandlung von Versicherten, bei denen mindestens eine lang andauernde, lebensverändernde Erkrankung, die der kontinuierlichen Versorgung mit einem Arzneimittel bedarf, vorliegt. Die Auszahlung erfolgt im ersten Quartal, in dem es zu einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt kommt und beinhaltet alle Leistungen aus den bisherigen GOP 03000, 03220/03221 für den Zeitraum der folgenden drei Quartale, völlig unabhängig davon, ob bzw. zu welchen Kontakten es dabei kommt.
- Eine Vorhaltepauschale, entsprechend der bisherigen GOP 03040, die auch bereits beim ersten Kontakt im Krankheitsfall für einen jährlichen Zeitraum berechnet werden kann. Im Gegensatz zu der bisherigen „automatischen“ Zusetzung der GOP 03040 ist der Ansatz aber nur möglich, wenn von der Praxis bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, wie
- das Vorhandensein einer Mindestanzahl von zu versorgenden Patientinnen und Patienten je Ärztin bzw. Arzt und je Quartal, die eine Menge von 450 Versicherten nicht unterschreiten darf,
- die bedarfsorientierte Erbringung von Haus- und Pflegeheimbesuchen,
- die bei Versicherten über 75 Jahre regelmäßige aufsuchende Behandlung,
- bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, regelmäßige monatliche Abendsprechstunden und ein ergänzendes Angebot an Samstagssprechstunden,
- Leistungen, die zum Kern des hausärztlichen Fachgebietes gehören (z. B. die Versorgung von geriatrischen Patientinnen und Patienten oder eine palliativmedizinische Versorgung),
- eine regelhafte Pflege der elektronischen Patientenakte, eine regelmäßige Aktualisierung des elektronischen Medikationsplans und die Vorhaltung von Kooperationen und Netzwerken zur besseren Versorgung insbesondere von multimorbiden oder geriatrischen Patientinnen und Patienten sowie
- die kontinuierliche Erbringung postoperativer Nachsorge.
- Einzelleistungen, bei denen die Krankenkassen zur Übernahme der Vergütung in voller Höhe nach den Preisen der Euro-Gebührenordnung verpflichtet werden, aus
- dem Abschnitt IIIa des EBM (hausärztliche Leistungen)
- dem Abschnitt II.1.4 (Hausbesuche)
Neben den beiden Pauschalen können damit künftig die folgenden Leistungen aus dem aktuellen EBM-Verzeichnis ohne Budgetierung und ohne Mengenbegrenzung zum Ansatz kommen:
EBM | Legende |
03000 | Altersgestaffelte Versichertenpauschalen bei Patientinnen und Patienten, die nicht unter die Reglung der Versorgungspauschale fallen |
03008 | Zuschlag zu der Versichertenpauschale nach der GOP 03000 für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins, 1-mal im Behandlungsfall |
03030 | Versichertenpauschale bei unvorhergesehener Inanspruchnahme zwischen 19.00 und 7.00 Uhr, an Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. bei persönlichem Arzt-Patienten-Kontakt, 2-mal im Behandlungsfall |
03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist, je 10 Minuten |
03241 | Computergestützte Auswertung eines kontinuierlich aufgezeichneten Langzeit-EKG von mindestens 18 Stunden Dauer |
03242 | Testverfahren bei Demenzverdacht, bis zu 3-mal im Behandlungsfall |
03321 | Belastungs-Elektrokardiographie (Belastungs-EKG) |
03322 | Aufzeichnung eines Langzeit-EKG von mindestens 18 Stunden Dauer |
03324 | Langzeit-Blutdruckmessung |
03330 | Spirographische Untersuchung |
03331 | Prokto-/Rektoskopischer Untersuchungskomplex |
03335 | Orientierende audiometrische Untersuchung nach vorausgegangener, dokumentierter, auffälliger Hörprüfung |
03350 | Orientierende entwicklungsneurologische Untersuchung eines Neugeborenen, Säuglings, Kleinkindes oder Kindes |
03351 | Orientierende Untersuchung der Sprachentwicklung eines Säuglings, Kleinkindes, Kindes oder Jugendlichen |
03352 | Zuschlag zu den GOP 01712 bis 01720 und 01723 für die Erbringung des Inhalts der GOP 03350 und/oder 03351 bei pathologischem Ergebnis einer Kinderfrüherkennungs- bzw. Jugendgesundheitsuntersuchung |
03355 | Anleitung zur Selbstanwendung eines Real-Time-Messgerätes zur kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung (rtCGM) |
Bei den folgenden Leistungen ist es nach der gesetzlichen Vorgabe möglich, dass sie entweder ein Bestandteil der Versorgungs- und Vorhaltepauschale werden oder nur zusammen damit berechnungsfähig sind.
EBM | Legende |
03060 03061 | Zuschlag zu der GOP 03040 für die Unterstützung der hausärztlichen Versorgung durch qualifizierte nichtärztliche Praxisassistentinnen und -assistenten |
03062 03064 | GOP einschl. Wegekosten – entfernungsunabhängig – für ärztlich angeordnete Hilfeleistungen anderer Personen, die in der Häuslichkeit der Patientinnen und Patienten in Abwesenheit der Ärztin bzw. des Arztes erbracht werden |
03063 03065 | GOP einschl. Wegekosten – entfernungsunabhängig – für ärztlich angeordnete Hilfeleistungen anderer Personen, die in der Häuslichkeit der Patientinnen und Patienten in Abwesenheit der Ärztin bzw. des Arztes erbracht werden, für eine weitere Patientin bzw. einen weiteren Patienten in derselben sozialen Gemeinschaft und/oder für Patientinnen oder Patienten im Rahmen der weiteren postoperativen Behandlung |
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03360 | Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment, 1-mal im Behandlungsfall, 2-mal im Krankheitsfall |
03362 | Hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex, 1-mal im Behandlungsfall |
03370 | Palliativmedizinische Ersterhebung des Patientenstatus inkl. Behandlungsplan, 1-mal im Krankheitsfall |
03371 | Zuschlag zu der Versichertenpauschale 03000 für die palliativmedizinische Betreuung der Patientin bzw. des Patienten in der Arztpraxis |
03372 | Zuschlag zu den GOP 01410 oder 01413 für die palliativmedizinische Betreuung in der Häuslichkeit, je vollendete 15 Minuten |
03373 | Zuschlag zu den GOP 01411, 01412 oder 01415 für die palliativmedizinische Betreuung in der Häuslichkeit, je Besuch |
Auch die Hausbesuche nach dem Abschnitt II.1.4 werden künftig, wenn sie durch Hausärztinnen oder Hausärzte durchgeführt wurden, zu einem festen Eurobetrag bezahlt. Dabei handelt es sich um die folgenden Leistungen:
EBM | Legende |
01410 | Besuch einer Kranken bzw. eines Kranken, wegen der Erkrankung ausgeführt |
01411 | Dringender Besuch wegen der Erkrankung, unverzüglich nach Bestellung ausgeführt, zwischen 19.00 und 22.00 Uhr, oder an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 07.00 und 19.00 Uhr |
01412 | Dringender Besuch / dringende Visite auf der Belegstation wegen der Erkrankung, unverzüglich nach Bestellung ausgeführt, zwischen 22.00 und 07.00 Uhr oder an Samstagen, Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen, am 24.12. und 31.12. zwischen 19.00 und 07.00 Uhr oder bei Unterbrechen der Sprechstundentätigkeit mit Verlassen der Praxisräume |
01413 | Besuch einer bzw. eines weiteren Kranken in derselben sozialen Gemeinschaft (z. B. Familie) und/oder in beschützenden Wohnheimen bzw. Einrichtungen bzw. Pflege- oder Altenheimen mit Pflegepersonal |
01415 | Dringender Besuch einer Patientin bzw. eines Patienten in beschützenden Wohnheimen bzw. Einrichtungen bzw. Pflege- oder Altenheimen mit Pflegepersonal wegen der Erkrankung, noch am Tag der Bestellung ausgeführt |
Erhalten bleiben als Leistungen, die ebenfalls nach festen Euro-Werten vergütet werden, die bisher entweder zeitlich begrenzt oder auf Dauer extrabudgetär vergütet werden, wie z. B. die gesamten Präventionsleistungen, die Leistungen des Abschnitts IV.37 oder auch die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA).
Was bedeutet das für die Praxis?
Die Versorgungspauschale (VP)soll die bisherigen GOP 03000, 03220/03221, 03222 und vermutlich auch 03020 (Hygienepauschale) ersetzen. Bei vom Alter her in Betracht kommenden Patientinnen und Patienten müsste die VP deshalb entsprechend dem bisherigen Ansatz der GOP 03004, 03220/03221, 03020 ein Honorar von 4-mal 38,18 Euro bzw. beim Ansatz der GOP 03005 von 4-mal 44,39 Euro ergeben. Abgesehen davon, dass dieses Geld vorab für den Zeitraum von vier Quartalen fließt und damit einen kleinen Liquiditätsvorsprung erzeugt, resultiert daraus insgesamt allerdings kein Honorarzuwachs, da hier lediglich die bisherigen Pauschalen entbudgetiert werden, die in der Regel sowieso bereits mit dem vollen Euro-Betrag ausgezahlt wurden. Hinzu kommt, dass offensichtlich vorgesehen ist, ähnlich wie bisher bei der altersgestaffelten Versichertenpauschale, eine „gestufte Form“ anzuwenden.
Da die Vorhaltepauschale nur bei genau definierten Patientengruppen berechnungsfähig ist, wird die bisherige Versichertenpauschale für alle übrigen Patientengruppen unverändert erhalten bleiben, während es die Chronikerpauschalen nur noch als festen Bestandteil der Versorgungspauschale gibt.
Aufpassen muss man bei der neu einzuführenden Vorhaltepauschale. Offensichtlich rechnet das Bundesgesundheitsministerium (BMG) angesichts der dort festgelegten hohen Zugangsvoraussetzungen bereits vorab mit Einsparungen. Bei möglicherweise freiwerdenden Finanzmitteln durch eine verminderte Abrechnung der Vorhaltepauschale im Vergleich zu der bisher erfolgten Abrechnung der GOP 03040 aufgrund der Nicht-Erfüllung der vorgegebenen Kriterien soll der Bewertungsausschuss (BA) nämlich für das Folgejahr Zuschläge auf besonders förderungswürdige Leistungen beschließen, wie beispielsweise Haus- und Pflegeheimbesuche oder die Vergütung des zusätzlichen Aufwandes für die Durchführung von Samstagssprechstunden. Diese Zuschläge sollen wiederum aber auch nur Praxen erhalten, bei denen die zuvor genannten Kriterien auch erfüllt werden. Auch hier soll eine stufenweise Abrechenbarkeit möglich sein. Da im Umkehrschluss auf diesem Weg erbrachte Leistungen erst etwa ein Jahr später vergütet werden, schwindet der Liquiditätsvorteil durch die Vorabzahlung der Versorgungspauschale wieder.
Praxistipp
Hausärztinnen und Hausärzte, die aus diesem Teil der Honorarreform ohne Honorarverlust und mit einem Honorargewinn herauskommen wollen, müssen ggf. die bisherige Form ihrer Praxisführung völlig umgestalten. Chronisch kranken Patientinnen und Patienten muss beigebracht werden, dass sie möglichst nur noch 1-mal innerhalb von vier Quartalen die Praxis aufsuchen sollen, wenn kein akuter Vorstellungsgrund besteht. Damit man nicht die Kontrolle über diese Patientinnen und Patienten verliert, sollten solche Wiedervorstellungen in Einklang mit den bisher üblichen Kontrollabständen bei den DMP erfolgen.
Das freiwerdende Zeitbudget sollte zur Behandlung von Akuterkrankungen eingesetzt werden, bei denen der Einsatz entbudgetierter Einzelleistungen möglich ist.
Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.