Die neue Hausarztvermittlung im SGB V ist ein „Kann“, das eigentlich ein „Muss“ ist!
Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann
Das seit dem 1. Januar 2023 gültige „Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) sieht vor, dass Fachärzte eine extrabudgetäre Vergütung und Zuschläge erhalten, wenn sie nach Vermittlung über die Terminservicestelle (TSS) oder einen Hausarzt Termine für GKV-Patienten vergeben. Einige, bisher allerdings nur wenige Kassenärztliche Vereinigungen bezweifeln, dass Fachärzte, die Patienten deshalb an den Hausarzt verweisen, damit sie dort eine Überweisung mit einem Dringlichkeitsvermerk erhalten, legitim handeln. Das stimmt aber nicht, sondern – im Gegenteil – eine solche Vorgehensweise wird durch die gesetzlichen Vorgaben sogar vorgeschrieben.
- § 76 Abs. 3 SGB V sieht vor: „[…] Der Versicherte wählt einen Hausarzt. […]“ Da diese Vorgabe nicht verpflichtend ist, hat der Gesetzgeber im § 73b Abs. 1 SGB V die Krankenkassen verpflichtet, ihren Versicherten eine besondere hausärztliche Versorgung (hausarztzentrierte Versorgung [HZV]) anzubieten. Nach Abs. 3 ist hier die Teilnahme zwar auch freiwillig, die Teilnehmer müssen sich aber schriftlich gegenüber ihrer Krankenkasse verpflichten, nur einen von ihnen aus dem Kreis der Hausärzte gewählten Hausarzt in Anspruch zu nehmen sowie ambulante fachärztliche Behandlung mit Ausnahme der Leistungen der Augenärzte und Frauenärzte nur auf dessen Überweisung in Anspruch zu nehmen.
- § 73 Abs. 1 Nr. 2 SGB V sieht vor, dass die hausärztliche Versorgung insbesondere die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen einschließlich der Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins bei einem an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer beinhaltet. Dies bedeutet, dass für notwendige medizinische Maßnahmen eine hausärztliche Diagnostik und ggf. auch Therapie als wirtschaftliche Voraussetzung für eine fachärztliche Behandlung anzusehen ist.
- § 87a Abs. 2b SGB V (Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) sieht für den Fall einer Überweisung eines Patienten durch die TSS oder einen Hausarzt vor, dass der Facharzt Zuschläge auf die jeweilige Grundpauschale und eine extrabudgetäre Vergütung erhält. Dies bedeutet, nur wenn der Hausarzt zunächst die Indikation zu einer Vorstellung bei einem Facharzt gestellt hat, kann der Patient einen Termin erhalten, wobei dann noch die Möglichkeit besteht, die Dringlichkeit einzustufen. Ganz bewusst sind das jetzt nicht mehr nur 4 Tage, sondern es gibt eine Range von bis zu 35 Tagen, die lediglich begründet werden muss, z. B. weil es dem Patienten nicht gelungen ist, die Warteschleife der TSS zu überwinden. Lediglich ab dem 24. Tag ist auch eine medizinische Begründung erforderlich, die aber bereits mit der Indikationsstellung erledigt wird.
- § 12 Abs. 1 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) schreibt vor, dass Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Wenn Kassenärztliche Vereinigungen Fachärzte maßregeln, die nur noch Patienten auf eine hausärztliche Überweisung hin annehmen, verstoßen sie gegen dieses Wirtschaftlichkeitsgebot. Ein Facharzt hingegen, der einen Patienten wegschickt und bittet, zunächst einen Hausarzt aufzusuchen, um die Indikation und zeitliche Notwendigkeit der Vorstellung zu prüfen, handelt wirtschaftlich im Sinne der gesetzlichen Vorgabe im SGB V und verhindert, dass seine Sprechstunde durch Fälle, die keine oder keine dringende Indikation haben, blockiert wird. Notfälle sind hier selbstverständlich ausgenommen.
Fazit
Die wichtigste Änderung im SGB V und den daraus resultierenden Beschlüssen des Erweiterten Bewertungsausschusses (EBA) vom 14. Dezember 2022 bei der Behandlung von neuen Patienten ab dem 1. Quartal 2023 ist, dass nur nach Vermittlung durch die TSS und jetzt auch den Hausarzt eine extrabudgetäre Vergütung der fachärztlichen Leistungen erfolgt, wenn diese spätestens am 35. Kalendertag erbracht werden. Lediglich der zusätzlich im fachärztlichen Bereich gezahlte Zuschlag unterliegt dabei einer Abstaffelung. Die ursprüngliche „Neupatientenregelung“ wurde so gesehen zu einem „alternativen Hausarztmodell“, das insbesondere bei Patienten greift, die bisher nicht in einen HZV-Vertrag eingeschrieben sind und deshalb das Recht der freien Arztwahl „missbrauchen“ können. Die Umsetzung des § 76 Abs. 3 SGB V, der bisher ein „stumpfes Schwert“ war, wird dadurch deutlich verbessert, indem auch der Patient angehalten wird, sich ebenfalls an das gesetzliche Wirtschaftlichkeitsgebot zu halten.
Der Hausarzt erhält für jede so getätigte Überweisung ein Honorar nach der GOP 03008/04008 EBM. Entgegen der auch hier zu beobachtenden Behauptung einiger Kassenärztlicher Vereinigungen ist der Ansatz dieser Leistungen nicht auf 15 % der Behandlungsfälle budgetiert. Eine solche Regelung enthält der o. g. Beschluss des EBA nicht!
Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.