Diagnostik und Therapie der Demenz
Ein typisch hausärztlicher Tätigkeitsbereich, den man auch bedienen sollte!
Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann
Am Anfang einer Demenz stehen häufig Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und Merkfähigkeitsverlust, im weiteren Verlauf schwinden aber auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Die Betroffenen verlieren so mehr und mehr die im Laufe ihres Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Die Alzheimer-Krankheit stellt mit einem Anteil von ca. 60–65 % die häufigste, in der Regel irreversible Demenzform dar. In etwa 20–30 % der Fälle sind hingegen von Grunderkrankungen ausgelöste Gefäßerkrankungen wie Diabetes mellitus, Vitaminmangelzustände oder chronischer Alkoholkonsum die Ursache (sekundäre Demenz). Hausärztinnen und -ärzte können durch frühzeitiges Erkennen und die differentialdiagnostische Abgrenzung den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Diagnostik
Schon die sorgfältig erhobene Anamnese kann richtungsweisend sein. Zwar muss nicht jede Beeinträchtigung des geistigen Leistungsvermögens schon ein Alarmsignal sein. Scheinbar unbedeutende Änderungen in der Lebensführung können aber ein Hinweis auf eine dementielle Entwicklung sein. Hat sich jemand gern aktiv oder passiv mit Sport beschäftigt und verliert das Interesse daran, könnte dies bereits auf eine Demenzentwicklung hinweisen. Hier sollten differentialdiagnostische Überlegungen, ggf. unter Beteiligung von Fachärztinnen und -ärzten für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie oder Nervenheilkunde, angestellt und eine depressive Störung als Ursache ausgeschlossen werden. Die körperliche Untersuchung und eine Labordiagnostik, z. B. um Schilddrüsenerkrankungen auszuschließen, sind weitere Leistungen, die im hausärztlichen Bereich durchgeführt werden können.
Therapie
Die medizinische Behandlung von Alzheimer-Patientinnen und -Patienten setzt unter anderem beim Botenstoff Acetylcholin im Gehirn durch Arzneimittel an, die das Enzym hemmen, das für den natürlichen Abbau von Acetylcholin sorgt. Ein weiterer medikamentöser Ansatzpunkt ist die Blockierung der Wirkung des Botenstoffs Glutamat, dem ebenfalls eine schädliche Rolle im Krankheitsprozess zugeschrieben wird. Bei einem Teil der Betroffenen führen derartige Medikamente zu einer Verbesserung des Gedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit. Den im Gehirn stattfindenden eigentlichen Krankheitsprozess können sie nicht verzögern oder stoppen.
Zur Linderung von Beschwerden sowie zur Verbesserung der Lebensqualität spielen aber nicht nur medikamentöse Therapieverfahren eine wichtige Rolle. Eine Vielzahl von Behandlungen zielt darauf ab, verbliebene Fähigkeiten der Erkrankten zu trainieren sowie ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Eine auf die spezielle Situation der Betroffenen zugeschnittene ergotherapeutische Behandlung z. B. kann bei Patientinnen und Patienten mit leichter bis mittelschwerer Demenz zum Erhalt der Alltagsfunktionen beitragen. Menschen im frühen und mittleren Stadium einer Demenz können von einem Reha-Angebot profitieren, das gezielt auf ihre Symptome eingeht.
Der Fall
Der 75-jährige Patient ist seit vielen Jahren in hausärztlicher Betreuung. Bekannt sind eine Herzinsuffizienz NYHA II, ein mittelgradiger Hypertonus und ein nichtinsulinpflichtiger Diabetes mellitus II. Er kommt in Begleitung seines Sohnes in die Sprechstunde, der berichtet, dass sich bei seinem Vater seit etwa einem halben Jahr Symptome wie eine zunehmende Vergesslichkeit und nächtliche Unruhezustände bis hin zu unkontrolliertem Aufstehen entwickelten. Auffällig sei auch, dass er nicht mehr zu seinem Stammtisch gehe. Im Gespräch fällt auf, dass der Patient einen depressiven Eindruck macht und auf Fragen nicht angemessen antwortet.
In einem ersten Schritt werden Laborverlaufskontrollen veranlasst und ein Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD) durchgeführt. Eine psychopathologische Ursache kann so bereits ausgeschlossen werden, zur weiteren neurologischen Abklärung wird dem Patienten ein Termin bei einem Neurologen innerhalb von einer Woche vermittelt.
Abrechnung der Leistungen beim Erstkontakt im Quartal
EBM | Legende | Euro | GOÄ |
03004 | Die Versichertenpauschale (VP) ab Beginn des 55. bis zum vollendeten 75. Lebensjahr vergütet die körperliche Untersuchung sowie den neurologischen und psychiatrischen Status und die Fremdanamnese. | 17,66 | 7 800 801 |
03220 | Zuschlag zur VP für die Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 15,51 |
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03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist | 15,28 | 34 |
03242 | Testverfahren bei Demenzverdacht (TFDD), bis zu dreimal im Behandlungsfall | 2,74 | 856 857 |
03330 | Spirographische Untersuchung | 6,32 | 605 605a |
03008 | Zuschlag zur VP für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins bei einem Neurologen | 15,63 |
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Im Rahmen der Labordiagnostik ergeben sich keine neuen Erkenntnisse. Der Diabetes ist mit einem HbA1c-Wert von 7,5 mit Blick auf das Alter des Patienten akzeptabel eingestellt. Die elektrokardiographische Kontrolle und die Lungenfunktionsprüfung sind ebenfalls nicht auffällig. Der Patient wird vom Neurologen auf eine medikamentöse antidementive Therapie eingestellt und die Vorstellung bei einem geriatrisch spezialisierten Arzt zur Durchführung eines weitergehenden Assessments empfohlen. Dem Patienten wird deshalb bei einem Internisten mit dieser Zusatzqualifikation ein Termin innerhalb von 20 Tagen vermittelt. Vorher wird in der Praxis im Rahmen eines hausärztlich-geriatrischen Basisassessments ein Barthel-Index sowie ein sog. Timed Up and Go + Chair Rise Test durchgeführt und mitgegeben.
Abrechnung der Leistungen beim Erstkontakt im Folgequartal
EBM | Legende | Euro | GOÄ |
03004 | Die Versichertenpauschale (VP) ab Beginn des 55. bis zum vollendeten 75. Lebensjahr vergütet die symptombezogene körperliche Untersuchung und die einfache Beratung. | 17,66 | 1 5 |
03220 | Zuschlag zur VP für die Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 15,51 | 15 |
03360 | Hausärztlich-geriatrisches Basisassessment | 13,49 |
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30980 | Abklärung vor der Durchführung eines weiterführenden geriatrischen Assessments | 23,03 |
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03008 | Zuschlag zur VP für die Vermittlung eines aus medizinischen Gründen dringend erforderlichen Behandlungstermins bei einem geriatrisch spezialisierten Arzt | 15,63 |
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Der Patient kommt vom weiterführenden Assessment mit der Empfehlung zurück, dass eine Ergotherapie durchgeführt und zur Intensivierung auch eine geriatrische Reha beantragt werden sollte. Beides wird von dem Hausarzt veranlasst.
Abrechnung der Leistungen beim Zweitkontakt im Folgequartal
EBM | Legende | Euro | GOÄ |
03221 | Zuschlag zu der GOP 03220 für die intensive Behandlung und Betreuung eines Patienten mit mindestens einer lebensverändernden chronischen Erkrankung | 4,77 |
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03362 | Hausärztlich-geriatrischer Betreuungskomplex | 20,76 |
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30988 | Zuschlag zur GOP 03362 für die Einleitung und Koordination der Therapiemaßnahmen gemäß multiprofessioneller geriatrischer Diagnostik nach Durchführung eines weiterführenden geriatrischen Assessments | 7,76 |
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01611 | Verordnung von medizinischer Rehabilitation unter Verwendung des Vordrucks Muster 61 | 37,59 | A75 |
03230 | Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung erforderlich ist | 15,28 | 3 |
Bitte beachten:
- Ein Antrag zur geriatrischen Reha nach Muster 61 ist ein Selbstläufer, da Kassen ab dem 70. Lebensjahr den Antrag ungeprüft genehmigen. Voraussetzung sind geriatrietypische Diagnosen sowie die Durchführung eines Timed Up and Go + Chair Rise Tests neben z. B. der Einordnung in ein NYHA-Stadium. Die Tests können zusätzlich zur GOP 01611 nach der GOP 01613 berechnet werden, es sei denn, im betreffenden Quartal kommt – wie in dem Fallbeispiel – auch die GOP 03360 zum Ansatz.
- Die GOP 03360 und 03242 können im Fallbeispiel gemeinsam zum Ansatz kommen, da nur ein Ausschluss beim Ansatz im gleichen Behandlungsfall besteht.
Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.