Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung: Wie man sich die neue Vorhaltepauschale (jetzt schon) sichern könnte!

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Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann

Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheits­ver­sorgung in der Kommune (Gesundheits­ver­sorgungs­stärkungs­gesetz – GVSG), in dem die Regelungen zur Entbudgetierung der haus­ärztlichen Versorgung ent­halten sind, wurde am 21. Mai 2024 von der Bundes­regierung beschlossen (Kabinetts­beschluss). Wie geht es nun weiter?

Formal fehlt jetzt noch die Zustimmung des Bundestages, mit der aber noch vor der Sommerpause des Parlaments zu rechnen ist und die inhaltlich eine Formsache sein dürfte. Der endgültige Startbeginn wird deshalb – je nachdem, wie schnell der beauftragte Bewertungsausschuss (BA) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) das umsetzt – der 1. Januar 2025 oder der 1. April 2025 sein.

Der Kabinettsbeschluss enthält folgende Passage: „Die Regelungen über die Versorgungspauschale sind so auszugestalten, dass sie weder zu Mehrausgaben noch zu Minderausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung führen.“ Damit ist klar, dass es bei dieser Neuregelung zu keinem Mehrhonorar kommen kann. Die Gestaltung dieser neuen GOP schließt dies aber per se schon aus. Möglich sind allenfalls Umverteilungen in geringerem Umfang, da sich die Möglichkeit, den besonderen Aufwand bei chronisch Kranken abrechnungstechnisch geltend zu machen, erweitert hat.

Ausschlaggebend ist die neue Vorhaltepauschale!

Mit einem Mehrhonorar ist hingegen an einer anderen Stelle zu rechnen. Das hängt aber von der Art der Umsetzung der neuen sog. Vorhaltepauschale ab, deren Berechnung an bestimmte, nun im Gesetz etwas offener formulierte Kriterien gebunden ist. Auffällig ist, dass sich diese Vorgehensweise an Regelungen im gerade beschlossenen Krankenhausfinanzierungsgesetz anlehnt. Dort kann man im Begründungstext zum Gesetz nachlesen: „Künftig sollen die Kliniken nicht mehr allein pro Eingriff (‚Fallpauschalen‘) bezahlt werden, sondern auch für das Vorhalten von Behandlungskapazitäten. Zur Erhöhung der Qualität soll es für alle Eingriffe bundesweit gültige Vorgaben hinsichtlich der technischen und personellen Ausstattung geben. Nur wenn diese Kriterien erfüllt werden, zahlen die Krankenkassen.“ Das kann man 1:1 auf die neue Vorhaltepauschale im vertragsärztlich-hausärztlichen Versorgungsbereich übertragen. Die Vorhaltepauschale soll dabei die bisherige GOP 03040 ersetzen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1

Die bisherige GOP 03040 des EBM soll im Rahmen der Entbudgetierung der hausärztlichen Honorierung durch eine Vorhaltepauschale ersetzt werden:

EBM

Legende

Euro

03040

Zusatz­pauschale zu den Gebühren­ordnungs­positionen 03000 und 03030 für die Wahr­nehmung des haus­ärztlichen Versorgungs­auftrags gemäß § 73 Abs. 1 SGB V

Obligater Leistungs­inhalt

Vorhaltung der zur Erfüllung von Aufgaben der haus­ärztlichen Grund­ver­sorgung not­wendigen Strukturen, einmal im Behandlungs­fall

16,47

Die neue Leistung soll ebenso wie die Versorgungspauschale jährlich bezahlt werden, wenn in vier aufeinanderfolgenden Quartalen in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt (pAPK) erfolgt (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2

Die Auszahlung der Vorhalte­pauschale ist an die Erfüllung der folgenden Kriterien gebunden, die im Vergleich zum Vorent­wurf offener gestaltet wurden. Man lässt damit dem BA einen größeren Spiel­raum, die Kriterien zu konkretisieren:

Kriterien Referenten­beschluss

Kriterien Kabinetts­beschluss

Bedarfs­orientierte Haus- und Pflegeheim­besuche und regelmäßige Besuche bei Versicherten über 75 JahreEine bedarfs­gerechte Versorgung mit Haus- und Pflegeheim­besuchen
Bedarfs­gerechte Praxis­öffnungs­zeiten mit regel­mäßigen monatlichen Abend­sprech­stunden und ergänzend Samstags­sprech­stundenBedarfs­gerechte Praxis­öffnungs­zeiten
Versorgung von geriatrischen Patienten und eine palliativ­medizinische VersorgungDie vor­rangige Erbringung von Leistungen aus dem haus­ärztlichen Fach­gebiet
Mindestens 450 Patienten/Quartal/ArztEine Mindest­anzahl an zu ver­sorgenden Versicherten
Pflege der elektronischen Patienten­akte und Aktualisierung des elektronischen Medikations­plansDie regel­mäßige Nutzung von Anwendungen der Telematik­infra­struktur
Eine kontinuierliche post­operative Versorgung

 

Da bisher der Ansatz der GOP 03040 „automatisch“ bei jedem ambulant kurativen Fall durch die zuständige Kassen­ärztliche Vereinigung erfolgt, geht es bei einer Bespiel­praxis mit 1.500 Behandlungs­fällen somit um die Neu­ver­teilung eines Jahres­umsatzes von 98.820 Euro.

Wenn unsere Beispiel­praxis unter den 1.500 Patientinnen und Patienten z. B. nur 500 in den Alters­klassen der aktuellen Versicherten­pauschale nach den GOP 03004 und 03005 (ab 55. Lebens­jahr) betreut, reduziert sich mangels Möglich­keiten, die Zahl der geforderten Kriterien zu erfüllen, der Betrag „automatisch“ (Geriatrie ist z. B. erst ab dem 70. Lebensjahr möglich) auf schätzungs­weise ein Drittel des Ausgangs­wertes. Die weiteren gesetzlichen Bestim­mungen lassen dabei erkennen, dass mit dieser Regelung eine Umver­teilung beab­sichtigt ist. Es wird nämlich fest­gelegt, dass für die Praxen keine Verluste entstehen dürfen, sondern bei einer hieraus resultierenden Minderung der Gesamt­ver­gütung – die im Hinter­grund bestehen bleibt – von den Kassen Zuschläge auf die Vorhalte­pauschale zu gewähren sind, die aber nur jenen Praxen zugute­kommen sollen, die eine solche Vorhalte­pauschale auch ab­rechnen dürfen. Das bedeutet zwangs­läufig eine ggf. nicht uner­hebliche Honorar­um­verteilung von Praxen mit einer jüngeren Klientel zu Praxen mit älteren und vermutlich multi­morbiden Patientinnen und Patienten.

Das Gesetz erlaubt aller­dings eine abge­stufte Vorgehens­weise, wie z. B. eine prozentuale Staffelung von z. B. 50 % der Vorhalte­pauschale bei fünf erfüllten Kriterien, 80 % bei acht und 100 % bei zehn Kriterien. Wenn der BA solche Kriterien­stufen katalogisieren würde, könnte dies eine so beabsichtigte Förderung der eigentlichen haus­ärztlichen Versorgung nach sich ziehen. Wären z. B. die Kriterien mindestens 450 Patientinnen und Patienten, Pflege der elektronischen Patienten­akte und des elektronischen Medikations­plans, bedarfs­orientierte Haus- und Pflege­heim­besuche und regel­mäßige Besuche bei Versicherten über 75 Jahre, dürfte eine „echte“ Haus­arzt­praxis kein Problem haben, die neue Vorhalte­pauschale abrechnen zu können. Auch die nächste Stufe, die nun nicht mehr allein auf eine geriatrische und/oder palliativ­medizinische Versorgung und die post­operative Behandlung abhebt, wäre realitäts­konform, sodass allenfalls bis zu den 100 % allen­falls die Abend- und Samstags­sprech­stunden hinzu­kommen müssten, wie sie aber z. B. bereits Bestand­teil vieler HzV-Verträge sind. Das deckt sich auch mit den im Gesetzes­text verfolgten Zielen dieser Honorar­reform.

Diese Ziele verfolgt die Bundes­regierung mit den Regelungen im GVSG mit der Entbudgetierung der haus­ärztlichen Vergütung:

  • Die finanzielle Attraktivität der Ausübung einer allgemein­ärztlichen Tätigkeit wird angesichts des Verantwortungs­umfangs in der haus­ärztlichen Ver­sorgung im Ver­gleich mit der Tätigkeit anderer Fach­arzt­gruppen als vergleichs­weise gering bewertet.
  • Dies äußert sich in größer werdenden Problemen bei der Nach­be­setzung haus­ärztlicher Arzt­sitze.
  • Als Maßnahme, um die haus­ärztliche Ver­sorgung auch künftig flächen­deckend zu gewähr­leisten, soll die Budgetierung der ärztlichen Honorare im haus­ärztlichen Bereich aufge­hoben werden.
  • Zudem werden weitere Reformen in der haus­ärztlichen Vergütung, die die haus­ärztlichen Praxen entlasten sollen, vorge­nommen:
    • Die Leistungen der allgemeinen haus­ärztlichen Ver­sorgung werden von mengen­begrenzenden oder honorar­mindernden Maß­nahmen ausge­nommen (Entbudgetierung).
    • Zudem werden eine quartals­übergreifende Versorgungs­pauschale zur Behandlung chronisch kranker Patientinnen und Patienten, die keinen intensiven Betreuungs­aufwand aufweisen,
    • sowie eine – an die Erfüllung bestimmter Kriterien durch die Hausärztin oder den Hausarzt geknüpfte – Vorhalte­pauschale für die Wahr­nehmung des haus­ärztlichen Versorgungs­auftrages einge­führt.

Fazit

Offen ist zunächst noch die Frage, wie man die so zu erreichende „Zertifi­zierung“ einer Praxis vor­nehmen wird. Reicht es, wenn man in jedem Quartal einmal die Kriterien erfüllt? Wie aber geht dann die Umsetzung von­statten, wenn diese Vorhalte­pauschale einmal jährlich erst beim zweiten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt berechnet werden kann und dann für die folgenden drei Quartale gilt? Wird die Pauschale ggf. gekürzt, wenn die Kriterien nicht in allen Quartalen erfüllt wurden, wie dies bisher schon die Kassen beim Ansatz der GOP 03220/03221 mit der 4/3/2/1-Regelung zu praktizieren versuchen?
Da diese Umsetzungs­regelungen im Bewertungs­aus­schuss beraten und fest­gelegt werden müssen und dort Kassen­vertreter mitbe­stimmen, sind Konflikte absehbar.

Wer auf Nummer sicher gehen will, ist deshalb gut beraten, für klare Verhältnisse zu sorgen und schon jetzt die korres­pondierenden GOP zu den beab­sichtigten Kriterien in seinem Abrechnungs­spektrum so zu dokumentieren, dass keine Zweifel am Vorhanden­sein einer „echten“ Versorger­praxis auf­kommen können, für die dieses Honorar­element aus­drücklich vor­gesehen ist.

Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.