Blutdruck 140/90 – ist das notwendig und wie vermittle ich das?

      Abrechnung     Meine Praxis

Abrechnungstipps von Dr. med. Gerd W. Zimmermann

In Deutschland leiden ca. 30 Millionen Bürgerinnen und Bürger an Blut­hoch­druck. Unbehandelt kann ein Hyper­tonus zu Schlag­anfall, Nieren­versagen, Erblindung, Herz­rhythmus­störungen, Herzinfarkt und Herz­versagen führen. Da Blut­hoch­druck nicht weh tut, wird er oft zu spät diagnostiziert. Hinzu kommt, dass sich Patientinnen und Patienten unter der Behandlung oft schlecht(er) fühlen und die Medikation einstellen!

Die Wahrscheinlichkeit, an arterieller Hyper­tonie zu erkranken, steigt mit dem Alter: Bei über 60-Jährigen beträgt die Häufigkeit 60 %. Neben dem Alter tragen auch Faktoren wie der Lebensstil (z. B. Bewegungs­mangel oder kalorien­haltige, stark gesalzene Nahrung) und Adipositas dazu bei, dass die Häufig­keit zunimmt.

Um die durch arterielle Hypertonie bedingten Endorgan­schäden zu vermeiden, sollten Patientinnen und Patienten die aktuell empfohlenen Ziel­blut­druck­werte (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Deutsche Hochdruckliga, European Society of Cardiology) erreichen. In den aktuali­sierten Empfeh­lungen der European Society of Hypertension (ESH) und der European Society of Cardiology (ESC) wurde als neuer Zielwert ein Blutdruck von 140/90 mmHg festgelegt. Dieser Wert gilt als Ausgangs­punkt, auch für Personen mit Vorerkrankungen wie Herz- oder Nieren­schäden. Bisher ist es aller­dings nur bei knapp der Hälfte der Behandelten gelungen, einen solchen Ziel­wert zu erreichen.

Deshalb sollte der Blut­druck prinzipiell bei jedem Arzt­besuch gemessen werden – von der Einschulung über die Einstellungs­unter­suchung und den Termin beim Betriebs­arzt bis hin zu einem Check-up oder einer anderen Vorsorge­untersuchung. Um eine arterielle Hyper­tonie zu diagnosti­zieren, sind in der Regel wiederholte Blutdruck­messungen notwendig, ggf. in Form einer 24-Stunden-Langzeit­messung.

Diagnostik

Bei erhöhtem Blutdruck sollten neben der körperlichen Unter­suchung weitere diagnos­tische Maßnahmen ergriffen werden, um sekundäre Ursachen des Hyper­tonus auszu­schließen bzw. das bereits vorhandene Gefäß­risiko zu definieren:

  • Blutuntersuchung Natrium, Kalium, Serum­kreatinin, geschätzte glomeruläre Filtrations­rate (eGFR), Lipid­profil, Nüchtern­glucose, Adrenalin, Noradrenalin, Urin­unter­suchung (Urin­test­streifen, insbesondere auch Micral-Test)
  • EKG, Sonographie bzw. Duplex-Sono­graphie der Carotiden, des Herzens, der Nieren und der Schilddrüse

Das kardiovaskuläre Gesamtrisiko kann resul­tierend aus diesen Befunden z. B. anhand des Scores aus der ESC/ESH Guideline bestimmt werden:

Andere RisikofaktorenRR bei 130-139/85-89RR bei 140-159/90-99RR bei ≥ 160/100
KeineNiedrigNiedrigModerat bis hoch
1-2NiedrigModeratHoch
≥ 3Niedrig bis moderatHochHoch
Erkrankungen Niere, kardiovaskulär, hypertoniebedingte OrganschädenHochHochHoch

Tabelle modifiziert nach ESC/ESH Guideline 2018; RR: relatives Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse

Therapie

Je nach Grad der Risiko­beurteilung kommt neben einer ggf. not­wen­digen Änderung der Lebens­umstände (Gewichts­reduktion, Reduk­tion des Salz- und Alkohol­konsums, körper­liche Akti­vität, ggf. Rauch­stopp) eine stufen­weise medika­men­töse Behand­lung zum Einsatz.

Am Anfang sollte eine zunächst niedrig dosierte Behand­lung mit einem ACE-Hemmer oder einem Angio­tensin-Rezeptor­blocker kombiniert mit einem Calcium­antagonisten stehen. Bei nicht zufrieden­stellendem Ergebnis kann zunächst deren Dosis erhöht werden, danach sollte eine Dreier­kombi­nation mit einem Diuretikum gewählt werden. Der Einsatz eines Kombinationspräparates kann dabei zur Steigerung der Adhärenz beitragen. Nur bei dann immer noch nicht zufrieden­stellenden Blut­druck­werten wäre eine zusätz­liche Gabe von Spironolacton, einem Alpha- oder einem Beta­blocker indiziert.

Der Fall

Eine 52-jährige Patientin stellt sich wegen eines grippalen Infektes in der Praxis vor. Die routine­mäßig in der Praxis bei jeder Patienten­behandlung durch­geführte Blutdruck­messung ergibt einen Wert von 150/100. Der Patientin wird deshalb eine Abklärung dieses Befundes im Rahmen einer anstehenden Vorsorge­unter­suchung angeboten. Es wird zunächst ein Termin für die notwendigen Blut­entnahme und eine Lang­zeit­blut­druck­messung vereinbart. Am Unter­suchungs­tag werden alle Befunde besprochen. Da sich der erhöhte Blut­druck auch nach der Langzeit­blut­druck­messung bestätigt und als behandlungs­bedürftig heraus­stellt, wird eine Therapie mit einer Kombination aus einem ACE-Hemmer und einem Calcium­antago­nisten begonnen.

Folgende Leistungen kommen in diesem Fall zur Abrechnung:

Erstkontakt

EBMLeistungsbeschreibungEuro
03003Versichertenpauschale ab Beginn des 19. bis zum vollendeten 54. Lebensjahr13,10
03230Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erstdiagnose eines Hyper­tonus erforderlich ist14,71
Anmerkung: Wegen der Erstdiagnose dieser chronischen Erkrankung kommen zunächst die Chroniker­pauschalen nach den GOP 03220/03221 nicht zum Ansatz.

Beim Zweitkontakt können für die Blut­entnahme und das Anhängen des Gerätes zur Lang­zeit­blut­druck­messung keine Leistungen berechnet werden. Am darauf­folgenden Dritt­kontakt werden zusammen mit den Vorsorge­unter­suchungen ein Ruhe-EKG und eine Abdomen-Sono­graphie durchgeführt.

Drittkontakt

EBMLeistungsbeschreibungEuro
01732Gesundheitsuntersuchung bei Erwachsenen ab dem vollendeten 18. Lebensjahr37,46
01746Zuschlag zur Gebührenordnungs­position 01732 für die Früh­erkennungs­unter­suchung auf Hautkrebs24,02
01734Zuschlag zur Gebührenordnungs­position 01732 für das Screening auf Hepatitis-B- und/oder auf Hepatitis-C-Virus­infektion4,71
32880Harnstreifentest gemäß Anlage 1 der Gesundheits­unter­suchungs-Richt­linie auf Eiweiß, Glukose, Erythrozyten, Leukozyten und Nitrit0,50
32881Bestimmung der Nüchtern­plasma­glukose0,25
32882Bestimmung des Lipid­profils (Gesamt­cholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin und Triglyceride)1,00
03324Langzeit-Blut­druck­messung6,55
33042Sonographische Unter­suchung des Abdomens oder dessen Organe und/oder des Retro­peritoneums oder dessen Organe einschl. der Nieren mittels B-Mode-Verfahren16,43
03230Problemorientiertes ärztliches Gespräch, das aufgrund von Art und Schwere der Erkrankung im Hinblick auf die Lebens­stil­änderung erforderlich ist14,71

Weitere Kontrolluntersuchungen mit dem Ziel einer zufrieden­stellenden Blut­druck­einstellung werden vereinbart.

Literatur:
WHO
-Informationsblatt Hypertonie: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/hypertension
Deutsches Herzzentrum Berlin: https://www.dhzb.de › ratgeber › bluthochdruck
DGK-Leitlinie. ESC/ESH Pocket Guidelines. Management der arteriellen Hypertonie, Version 2018: https://leitlinien.dgk.org/2019/pocket-leitliniemanagement-der-arteriellen-hypertonie-2/
Brent M. Egan et al. Prevalence of optimal treatment regimes in patients with apparent treatment-resistant hypertension based on office blood pressure in a community-based practice network
Gianfranco Parati et al. Hypertension 2021. Adherence to single-pill versus free-equivalent combination therapy in hypertension

Dr. med. Gerd W. Zimmermann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und seit vielen Jahren als Referent sowie Autor zum Thema Leistungsabrechnung nach EBM und GOÄ tätig.